Rebecca

(Textprobe)

Ein schwüler Frühsommerabend.
Ein gemeinsames Abendessen mit alten Bekannten hat auch Rebecca aus ihrer Isolation gezwungen, denn die meisten ihrer Abende verbringt sie allein. Die einzigen realen menschlichen Stimmen, die sie allabendlich erwarten, sind die aus ihrem übergroßen Fernsehapparat in ihrem kleinen, verstaubten Wohnschlafraum, in dem sich Verpackungs-, Zigaretten- und Essensreste sowie leere Weinflaschen und Bierdosen manches Mal bis zu zwei Wochen stapeln.
An den ekligen, abgestandenen Geruch kalten Rauches durchsetzt von schimmelnden, verfaulenden Speiseresten, und dem sich in diese Gerüche mischenden Restalkohol hat sie sich schon gewöhnt.
Die Fenster meist geschlossen, ausgesperrt die Außenwelt.
Das Telefon döst unter einer dünnen Staubschicht vor sich hin.
Doch eines Abends plötzlich schrilles Läuten.
Rebecca ist unwillkürlich zusammengezuckt vor Schreck, hat dann aber ganz automatisch, wie selbstverständlich, den Anruf entgegengenommen. Sie hat gespielt gelangweilt hallo in den Hörer gesagt und sich gleichzeitig innerlich darauf vorbereitet gelassen zu wirken, also ganz normal und eine Spur sozial.
Sie hat eine freundliche Männerstimme vernommen, diese zuerst nicht zuordnen können. - Hallo Rebecca, ich bin es, Martin. Wer ist nur Martin? Hat sie überhaupt jemals einen Martin gekannt?
Doch die Stimme hat ihr gleich eine mögliche peinliche Situation erspart, indem sie zum Essen im Kreis von ein paar ehemaligen Studienkolleginnen und -kollegen geladen hat.
Ach ja, Martin aus der Tutoriumsgruppe, aus einer Zeit in der Rebecca noch Philosophie studiert hat.
Martin hat gesagt, dass auch Verena, Melanie und Helmut kämen. Nächsten Donnerstag, und er werde kochen, und sie solle eine Flasche Rotwein mitnehmen, es werde sicher sehr gemütlich. Er freue sich, wenn sie Zeit habe.
Ja, ich komme gern, hat sie kurz und mit leicht belegter Stimme geantwortet und sich schnell von ihm verabschiedet.
Beim Auflegen des Hörers auf die Gabel hat sie dann erst ihren schnellen Herzschlag und das Zittern ihrer Hände wahrgenommen. Warum hat sie nur zugesagt und nicht gleich abgelehnt, sie ist schon lange nicht mehr in der Stimmung gewesen anderen Menschen privat zu begegnen und dann auch noch einer ganzen Runde! Doch nein, sie wird hingehen, sie muss sich zwingen um sich wieder einmal mit Sozialkontakten vertraut zu machen (...)

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